Vor dem Sonnenaufgang
Vor dem Sonnenaufgang

Die Sonne über dem Lotus – Von der Erfüllung eines Traumes

Der morgige Tag und auch alle weiteren Tage werden genauso wie heute sein. Eine langweilige Ansammlung von Stunden. Und sie erleben keine neuen Leidenschaften, keine neuen Gedanken, keine neuen Reisen.

Ethan Hawke als Jeese in „Before Sunrise“

So würde das Leben wohl aussehen, hätte ich vor einem Jahr nicht eine Offenbarung erfahren. Nichts an dem heutigen Tag könnte ferner der Beschreibung einer „langweiligen Ansammlung von Stunden“ sein.

Im Dunkeln versuche ich meinen Weg zu finden. Jetzt bloß nicht stolpern. Schritt für Schritt. Gleich einem Hund im Auto versuche ich das Gleichgewicht zu halten, während ich über eine wackelige Brücke gehe. Es ist noch nicht mal 06:00 Uhr, doch die tropische Hitze des Dschungels lässt mir bereits den Schweiß über das Gesicht laufen.

Gleich würde ich ihn sehen können. Den größten Tempel der Welt. Der Franzose Henri Mouhut beschrieb ihn als „… eines der schönsten Bauwerke der Erde … .“ Er würde alles übertreffen, „… was Griechen und Römer uns hinterlassen haben.

Schemenhaft erkenne ich eine Buddha-Statue. „Die schaue ich mir später in Ruhe an“, denke ich. Die wenigen Leute, die mit mir bereits auf den Beinen sind, bleiben plötzlich stehen. Also halte auch ich an. Langsam hebe ich den Kopf und traue kaum meinen Augen.

Er ist direkt vor mir. Die Dunkelheit gewährt mir vorerst nur einen geringen Eindruck seiner imposanten Erscheinung. Jedoch erkenne ich sofort die schwarzen Umrisse der charakteristischen Türme, die Historiker immer wieder als den Blüten von Lotusblumen nachempfunden beschrieben haben.

Da stehe ich nun also. Hinter mir nichts als Dunkelheit, in mir nichts als Ehrfurcht und vor mir Angkor Wat.

Angkor Wat - Vor dem Sonnenaufgang

Die Angst vor den Khmer

Noch vor zwei Tagen blickte ich mit Sorge auf diese Reise. Hatte ich doch gerade erst einen Kulturschock in Thailands Hauptstadt hinter mir. Und die gilt wenigstens als weitestgehend ungefährlich.

Kambodscha war da schon eine andere Hausnummer. Das Auswärtige Amt warnte vor aggressiven Betrugsversuchen und Überfällen, wobei auch schon mal westliche Touristen unter die Räder kommen würden. Und das war wortwörtlich zu verstehen.

Vorbeifahrende Motorräder entreißen nur allzu sorglosen Touristen die Taschen und Rücksäcke, wenn sich die Gelegenheit bietet. 2007 führte das zum Tode einer jungen Französin, die bei einem solchen Raub vor ein fahrendes Auto in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh geriet.

Tod bei Einreise?

Als wir jedoch am Vorabend meines Tempelbesuches einreisten, stellte sich das Land ganz anders dar. Da waren keine blutrünstigen, mit Macheten und Schusswaffen wild umher fuchtelnden Irren, die nur darauf warteten, uns auszurauben. Das Gegenteil war der Fall.

Siem Reap - Pub Street

Die Khmer versprühen eine Wärme, wie ich sie noch nie zuvor bei Menschen erlebt hatte. Das meine ich genauso wie ich es schreibe.

Hatten wir einfach Glück? Dem würden sämtliche Erfahrungen mit den Menschen dieses Landes widersprechen, die ich auf der Reise machen durfte.

Die Khmer sind mit Abstand die freundlichsten Menschen, denen ich in meinem ganzen Leben begegnet bin.

Organisation der Tempelbesichtigungen in der Angkor-Region

Unsere Unterkunft lag etwas außerhalb von Siem Reap. Wir erreichten sie erst am Abend.

Der Zeitplan war ehrgeizig – wollte ich doch bereits am nächsten Morgen den Sonnenaufgang am Haupttempel Angkor Wat anschauen. Und natürlich hatte ich eine ganz eigene Vorstellung, wann und in welcher Reihenfolge ich mir anschließend die Tempel ansehen würde.

Standardtouren sind nicht mein Ding. Sie sind so sehr „nicht mein Ding“, dass mein Begleiter bereits Zweifel äußerte, ob ich dem Tuk-Tuk-Fahrer meine Vorstellungen überhaupt begreiflich machen könnte. Immerhin hatte ich schon den Akzent der Thailänder beim Englischsprechen kaum verstanden.

Zu meiner Überraschung sprachen die Khmer aber fließendes und sehr gut verständliches Englisch. Es sei überhaupt kein Problem, die Tour so zu fahren, wie ich das wollte. Wir müssten nur sehr früh los, da ich noch kein Ticket für Angkor hatte.

Kambodscha überraschte mich in einem sehr positiven Sinne. Ja, ich kann es nicht anders sagen. Noch am ersten Abend verliebte ich mich regelrecht in Land und Leute. Wenn du jemals die Gelegenheit hast, die Khmer kennenzulernen, wirst du wahrscheinlich verstehen, was ich meine.

Angkor - Banteay Kdei

Warten auf den Sonnenaufgang

Eine Stunde ist bereits vergangen. Die Dunkelheit hatte sich verzogen und gab nun den Blick über einen kleinen Teich hin zu einem beeindruckenden Tempel frei. Wie musste dieser Anblick erst auf die Menschen gewirkt haben, die hier vor Jahrhunderten lebten?

Ein Kaffeeverkäufer reißt mich aus meinen Gedanken. Er fragt jeden Anwesenden, ob er einen Kaffee kaufen möchte. Das wirkt deplatziert auf mich. Jedoch ist Angkor nun mal eines der großen touristischen Ziele unserer Welt geworden. In diesem Augenblick macht sich das hier auch bemerkbar. Der Platz um den kleinen Teich hat sich gut mit Schaulustigen gefüllt.

Dem Kaffeeverkäufer bekunde ich freundlich aber bestimmt mein Desinteresse.

Wo sollte ich hier im Ernstfall meine Notdurft verrichten? Dann müsste ich ja meinen Platz am Teich freigeben. Den würde ich nicht wieder bekommen – so viel ist sicher.

Wenn doch nur die Sonne so langsam mal auftauchen würde.

Angkor - Pre Rup

Ein älterer Mann spricht mich an. Ihm seien meine Kleidung und meine Kamera aufgefallen. Nur mit Schwierigkeiten kann ich seinem Akzent folgen, der zu meiner Überraschung aus Ohio in den USA stammt. Irgendwie hatte ich immer die Illusion im Kopf, dass man gerade Amerikaner und Engländer super verstehen können müsse. Muttersprachler beherrschen wahrscheinlich perfektes Oxford-Englisch. Offensichtlich hatte ich mich geirrt.

Wieder versinke ich in Gedanken. Wie haben die Menschen hier früher gelebt?

Im Reich Angkor

Kambodscha war nicht immer buddhistisch. Vor vielen Jahrhunderten war das Land hinduistisch geprägt, was sich im Übrigen auch in vielen Tempeln Angkors noch heute widerspiegelt. Die Khmer sollen ein kriegerisches Volk gewesen sein und nur schwer zu regieren.

Ein komischer Gedanke. Die gleichen Menschen, die ich binnen weniger Momente aufgrund ihrer unglaublichen Freundlichkeit ins Herz geschlossen habe, seien kriegerisch und schwer zu regieren gewesen? Nun gut. Was heißt das schon? Immerhin waren die freundlichen Italiener auch mal das Zentrum eines der größten, kriegerischsten Imperien, die die Welt je gesehen hat.

Angkor - Ta Phrom

Angkor Wat war einst die Hauptstadt des Angkor-Reiches. Das heute über fünf Kilometer große Areal des als größtes sakrales Bauwerk der Welt geltenden Tempels war Dreh- und Angelpunkt einer ganzen Kultur. Damals war es das Zentrum einer über 1.000 Quadratkilometer großen Stadt. Viel erinnert allerdings nicht mehr daran. Von den einstigen Häusern ihrer Bewohner ist nichts mehr übrig.

Nur noch Reliefs in einigen Tempeln zeugen von der einstigen Größe und Kriegslust. Geschichten von Königen und Völkern, deren Namen ich kaum aussprechen kann.

Angkor Wat wurde in der Regierungszeit vom König Suryavarman II. errichtet, die von 1113 bis 1150 A.D. andauerte. Es gilt als wahrscheinlich, dass der riesige Tempelkomplex ihm als Denkmal und Grabstätte gedient hat.

Aber mit geschichtlichen Details will ich dich nicht zu sehr langweilen.

Ta Keo - Detail
Das Leben der Khmer

In dem Buch „Die Kinder der Killingfields“ vom Autor Erich Follath erzählt dieser von dem chinesischen Chronisten Chou Ta-Kuan, der Angkor Ende des 13. Jahrgunderts bereiste. Von ihm stammen detaillierte Berichte, aus dem Alltag der Khmer.

Beeindruckend seien die riesigen von Menschen angelegten Kanäle gewesen, an denen sich bereits in der Morgendämmerung geschäftiges Treiben einstellte. Während Pilger zum Zentrum der Hauptstadt reisten, passierten sie unzählige Reisbauern, die von morgens bis abends schufteten und der eigentliche Grund für Angkors Reichtum waren.

Es gab vier Reisernten im Jahr. Das war weltweit einzigartig. Und mit den Überschüssen wurde reger Handel betrieben. Wer Geld hatte, transportierte seine Waren mit einem Ochsenkarren und wer nicht, dem blieb nur der Transport auf dem gekrümmten Rücken.

Dennoch war es ein fortschrittliches Volk. Prüde waren die Khmer auch keinesfalls. Nacktheit in der Öffentlichkeit war nicht ungewöhnlich und auch Sex vor der Ehe galt als normal.

Wer die Angkor Wat umgebenden Mauern passieren wollte, musste an Wächtern vorbei, die besonderes Augenmerk auf die Füße der Reisenden legten. Abgehackte Zehen waren ein Zeichen staatliche Repressalien. Solche Leute wollte man hier nicht haben. Ebenso wenig waren Hunde erlaubt.

Wenn dich der Alltag der Khmer interessiert, kann ich dir nur empfehlen, dir das Buch mal anzusehen. Vor allem das hier angerissene Kapitel fand ich höchst interessant. Aber sei gewarnt. Die jüngere Geschichte von Kambodscha ist düster. In dem Buch geht es nämlich hauptsächlich um eine andere Zeit – die von Angkar, den Roten Khmer.

Preah Khan - Wilder Affe

Die Roten Khmer

Nichts, was ich jetzt sagen könnte, kann dem gerecht werden, was sich unter Pol Pot in den Jahren 1975 – 1979 im damaligen Kambodscha abspielte. Jeder Versuch, das Ausmaß der Grausamkeiten zu schildern, ist zum Scheitern verurteilt. Immerhin hat es einem Viertel der eigenen Bevölkerung das Leben gekostet.

Es gibt keine Familie im Land, die nicht irgendwie betroffen war bzw. ist. Und während die UN die wenigen, grausamen Berichte aus dem Land als unglaubwürdig abtat, wurde jeder Kambodschaner ermordet, der auch nur im geringsten Verdacht stand, gebildet zu sein.

Das Tragen einer Brille war ausreichend, um mit Äxten oder Schaufeln erschlagen zu werden.

Kinder wurden an Bäumen zerschmettert – oder zum Spaß in die Luft geworfen und mit Bajonetten „aufgefangen“. Mehr als einmal kämpfe ich bei meiner Reise durch das Land mit den Tränen, wenn es um die Details des großen Terrors in dem südostasiatischen Land geht.

Umso erstaunlicher ist es, wie freundlich und offen die Kambodschaner heute sind. Denn eines muss man sich bewusst machen: Heute leben die Täter und die Opfer zusammen, als hätte es diese Zeit nie gegeben. Das erscheint mir fast grotesk. Jedoch hat man sich mit der Vergangenheit arrangiert.

Angkar und Angkor

Die urkommunistische Partei der Roten Khmer nannte sich selbst Angkar. Alles was sich gegen ihre Politik und ihre Vorstellungen richtete, wurde vernichtet. Ein Menschenleben zählte da überhaupt nicht. Und auch die alten Götter waren ihnen nicht viel wert. Während anderswo im Land Tempel profaniert wurden, blieb dieses Schicksal glücklicherweise jedoch den Angkor-Tempeln erspart.

Zwar mussten Restauratoren aus der Hochebene fliehen, als sich die Schergen Angkars nährten, jedoch haben selbst die Roten Khmer sich nicht getraut, die heiligen Tempel zu zerstören. Somit war Angkor das Letzte, was Täter und Opfer noch miteinander verbunden hat.

Grausame Zeugnisse dieser Zeit sind sowohl die Killing Fields, die es zu trauriger Berühmtheit brachten, als auch das Foltergefängnis S-21 in Phnom Penh.

In Angkor selbst erinnert mich zum Glück fast nichts an dieses dunkle Kapitel kambodschanischer Geschichte. Nur die Versehrten-Bands, die hier und da vor einigen Tempeln mit traditionellen Instrumenten versuchen, sich über Wasser zu halten, lassen auf die Grausamkeit des vergangen Bürgerkrieges und der Schreckensherrschaft der Khmer Rouge schließen.

Angkor - Neak Pean

Ihnen fehlen Arme, Beine, sie sind blind oder anderweitig körperlich eingeschränkt.

Am selben Tag, an dem ich morgens auf den Sonnenaufgang warte, bleibe ich später kurz auf dem langen Holzsteg, der zum Neak Pean-Tempel führt, stehen, um der Musik einer solchen Versehrten-Band zu lauschen. Nach nur wenigen Sekunden habe ich riesige rote Ameisen auf mir rumkrabbeln, die jeden Versuch sie abzuschütteln mit schmerzhaften Bissen beantworten.

In Kambodscha muss man wohl alles, was „rot“ ist, mit Vorsicht genießen.

Angkor - Preah Khan

Am falschen Lotusblumenteich

Immer noch keine Sonne. Eine weitere Stunde war vergangen. Erste Gerüchte machen die Runde, sie würde heute auch nicht zu sehen sein. Wahrscheinlich bliebe sie hinter einem diesigen Wolkenhimmel verdeckt.

Das war zwar ein wenig enttäuschend, aber traurig war ich nicht. Zu beeindruckend war der Blick auf die geschichtsträchtigen Türme, die den Berg Meru symbolisieren. Damit stellen sie nichts Geringeres dar, als das Zentrum unseres Universums.

Im Internet hatte ich vor der Reise gelesen, dass man den Sonnenaufgang unbedingt erleben müsste. Die besten Fotos könne man vor dem Teich machen, auf dem Lotusblumen schwimmen. Und wer mich kennt, weiß, was für ein außerordentliches Glück ich immer habe.

Natürlich gab es zwei solcher Teiche. Einen mit und einen ohne Lotusblumen. Einer der Teiche hat einen fast perfekten Winkel für das Sonnenaufgangsfoto als Assemble aus Sonne, Tempel und Teich. Und an dem anderen Teich, ja dort stehe ich. Das würde ich aber erst später realisieren.

Meine Anwesenheit hier würde ich dennoch keinesfalls bereuen. Immerhin erfüllte ich mir mit dem Besuch von Angkor einen Traum, den ich vor wenigen Jahren kaum zu träumen wagte. Bereits am ersten Tag hier würde ich noch unglaublich viel sehen und erleben.

Guten Appetit

Die gesamte Region weißt im Wesentlichen zwei verschiedene Arten von Tempeln auf. Da sind die oft vom Dschungel bedeckten Flachtempel und die in die Höhe gebauten und sich durch hohe Treppen auszeichnenden Tempelberge. Vor allem die Flachtempel haben mich tief beeindruckt.

Bayon - Gesichtstürme

Nichts beschreibt das Gefühl, als ich zum Beispiel im Bayon-Tempel unter den riesigen Gesichtstürmen stehe und die imposanten Abbilder mitleidig oder gar spöttisch auf mich herabblicken. Ihnen persönlich in die Augen zu blicken, fühlt sich unglaublich an.

Während ich durch die verschiedenen Türme schleiche und versuche Fotos zu bekommen, auf denen mir nicht ständig die Touristen durch das Bild rennen, höre ich einem Guide zu.

Er erzählt den Anwesenden Besuchern, dass sie sich in Acht nehmen müssten, wenn sie in die Türme gehen und nach oben schauen. Dort gibt es Unmengen an Fledermäusen. Stimmt, das war mir bereits aufgefallen. Aber sind die wirklich gefährlich?

Nein, natürlich nicht. Wer jedoch mit geöffnetem Mund nach oben schaut, riskiert einen „Snack“ der besonderen Art. Ich muss lachen. Über so was habe ich noch nie nachgedacht.

Was Kambodscha und Mexiko gemeinsam haben

Auf den Tempelbergen hingegen gibt es noch eine andere Gefahr. Eine Freundin berichtete mir mal, dass es auf den Pyramiden in Mexiko sehr gefährlich sein könne, wenn man die Stufen derselben erklimmt oder absteigt. Wer hier ins Stolpern gerät, könne das mit dem Leben bezahlen. Eine schreckliche Vorstellung, die sich so manches Mal bewahrheitet hat.

Kambodschanische Tempelberge wie der Pre Rup oder der Ta Keo konnten jedoch mit ähnlichen Risiken aufwarten. Auch wenn die mexikanischen Pyramiden sicher um einiges gefährlicher waren, sind die steilen Treppen in Angkor auch nicht zu unterschätzen.

Ta Keo - Steile Treppe

Beim Abstieg würde ich teilweise auf allen Vieren hinunter krabbeln, während mir die Sonne unbarmherzig das Gesicht grillt. Und da war ich auch nicht der Einzige. Sicherheit geht eben vor.

Kindliche Verkäufer

Auf ein gänzlich anderes Problem machen bereits die Eintrittskarten, die so genannten Angkor-Pässe, aufmerksam. Dort befindet sich ein Hinweis, dass man Kindern hier nichts abkaufen solle. Zum einen verhindere das, dass sie die Schule besuchen würden, zum anderen haben sie sowieso nichts von diesem Geld. Denn das müssen sie sofort an ihre Eltern oder andere Auftraggeber abgeben.

Das hab ich zumindest schon oft gelesen.

Wenn du also Souvenirs, wie Postkarten oder Magneten haben möchtest, schau dich lieber auf den Märkten in Siem Reap um.

In den ersten Tempeln des ersten Tages blieb ich verschont von den jungen Verkäufern, doch sollte sich das im Ta Som ändern. Das grinsende Gesicht von Lokeshvara, dem Bodhisattva des universellen Mitgefühls, passierend, kommt ein kleines Mädchen auf mich zu.

Auf ihre Frage, woher ich kommen würde, antworte ich ehrlich. Ein Kind möchte ich nicht anlügen.

Anschließend zählt sie mir 10 deutsche Großstädte auf. Im perfekt klingenden Deutsch. Selbstverständlich hat sie das auswendig gelernt. Die Kleine würde das wahrscheinlich auch noch in 10 weiteren Sprachen hinbekommen.

Ta Som - kindliche Verkäufer

Und auch wenn ich sie für ihre Leistung lobe, lasse ich mich anschließend nicht von ihrem Bitten und Betteln dazu hinreißen, ihr etwas abzukaufen.

Versteh mich nicht falsch. Ich bin nicht aus Stein und die kleine Khmer war wirklich niedlich. Dem Bitten des Mädchens mit ihren großen dunklen Augen eine Abfuhr zu erteilen war nicht einfach. Doch bin ich aus oben genannten Gründen der festen Überzeugung, ihr mehr zu schaden als zu helfen, würde ich nachgegeben.

Leider würde ich an diesem Tag noch einige Touristen sehen, die sich dieser Tatsache offensichtlich nicht bewusst sind oder sie schlichtweg ignorieren.

Die Sonne über dem lotusförmigen Türmen

Doch zurück zu dem kleinen Teich, ohne Lotusblumen morgens vor Angkor Wat. Während ich bereits meinen weiteren Weg durch die Tempel plane, streift urplötzlich das warme Licht der aufgehenden Sonne meine Wangen.

Die Hoffnung hatte ich bereits aufgegeben. Doch nun bekam ich den Lohn für meine Geduld.

Angor Wat - Sonnenaufgang

Dieselbe Sonne, die ich unbeeindruckt täglich in Deutschland am Himmel sehen kann, die schon die Khmer im alten Angkor-Reich durch den Tag geleitetet hat und die Zeuge schrecklicher Taten wie die der Roten Khmer war.

Da bin ich nun und kann es kaum fassen. Nie wieder werde ich diesen Augenblick in meinem Leben vergessen.

Der Augenblick, wo ich durch die halbe Welt getrennt von meiner Heimat, morgens mitten im Dschungel, am größten Tempel der Erde, die Sonne beobachte, wie sie langsam zwischen den Lotustürmen ihren Weg bahnt.

Das ist ein Gänsehautmoment. Und das wird er für immer bleiben.

Es mag Menschen geben, die Angkor für ein überbewertetes Reiseziel halten. Diese Auffassung kann ich nicht teilen. Nie wieder werde ich das Bild aus dem Kopf bekommen, wie die dunkel in den Morgenhimmel stechenden Türme in das zarte Licht des anbrechenden Tages getaucht werden.

Und nicht nur das wird mich noch lange beschäftigen.

Vor allem die Tempelruinen, die teilweise vom Dschungel überwuchert sind, strahlen eine unglaubliche Atmosphäre aus. Und so möchte ich dir noch einen letzten Gedanken mitgeben.

Ein Tempel ganz für mich allein

An diesem Tag werde ich abgesehen vom Sonnenaufgang den Haupttempel Angkors noch links liegen lassen. Stattdessen bitte ich meinen Tuk-Tuk-Fahrer, mich direkt im Anschluss zu dem kleinen Banteay Kdei zu bringen. Dieser ist keinesfalls so berühmt, wie z. B. der durch den Film Tomb Raider bekannt gewordene Ta Phrom-Tempel – gleich auch einige Szenen dieses Films hier im Banteay Kdei gedreht wurden.

Und gerade weil er nicht so berühmt ist und es noch zeitig am Morgen ist (es ist noch nicht ganz 08:00 Uhr), bin ich fast allein hier.

Nur ein ehrgeiziger junger Khmer will mir ständig etwas am Tempel erklären und zeigen. Offensichtlich ist er stolz auf seine Geschichte. Das kann ich gut verstehen.

Doch nach kurzer Zeit, gebe ich ihm zu verstehen, dass ich mir den Tempel lieber allein ansehen möchte. Er nimmt es mir offensichtlich nicht übel. Immerhin würden heute sicher noch genug Touristen ihren Weg zu diesem Tempel finden. Ich aber will die Atmosphäre aufsaugen, die dieser Ort versprüht.

An der Außenmauer des Banteay Kdei beobachte ich einige Wolfsspinnen. Und auch Eidechsen kreuzen hin und wieder meinen Weg. Bäume schmiegen sich an den Überresten des einst wohl wunderschönen Gebäudekomplexes. Langsam aber sicher holt sich die Natur zurück, was der Mensch ihr einst entriss.

Banteay Kdei - mysitsche Stimmung

Mutterseelenalleine spaziere ich durch die mit Nebel verhangenen Ruinen und gelange schlussendlich an eine kleine Mauer, hinter der sich nichts als Dschungel befindet. Ich drehe mich um und gehe in die Hocke.

Du bist wirklich hier.

Meine Gedanken lassen mich diesen Augenblick in voller Präsenz wahrnehmen. Nie zuvor war ich mir so bewusst, wo ich mich gerade befinde und was mir dieser Moment bedeutet.

Es ist keineswegs übertrieben, wenn ich behaupte, dass ich dieses Gefühl nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte. Ein Gefühl unbeschreiblich glücklich und dankbar zu sein, hier stehen zu dürfen. Angkor hat eine Wirkung auf mich gehabt, wie ich sie noch nicht kannte.

Und das ist es, was ich dir mitgeben möchte. Was immer du für Träume hast, nehme sie bewusst wahr. Viel zu oft, sind wir in dem Augenblick, wenn wir uns einen solchen Traum erfüllen, bereits am Schmieden neuer Pläne. Das zerstört jedoch die Magie dieses Moments. Halte inne! All deine Sinne sollten dann nur diesem einen Zweck dienen.

  • Was hörst du?
  • Was siehst du?
  • Was riechst und schmeckst du?
  • Und vor allem, was fühlst du?

Sich des gegenwärtigen Augenblicks bewusst zu werden, ist vielleicht eines der schönsten Dinge, zu denen wir Menschen fähig sind.

Was ist mit dir? Warst du schon mal in der Angkor-Region? Wenn ja, wie hast du sie erlebt? Hast du vielleicht ganz andere Träume? Erzähl mir gern davon. Ich freue mich von dir zu hören.

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